Die Lüge wird zur Weltordnung
Herbert Neubeckers Bühnenbearbeitung
von Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ in einer fesselnden Inszenierung von Sybille Fabian „Das Verfahren geht ganz allmählich ins Urteil über“
Inszenierung: Sybille Fabian – Bühne: Herbert Neubecker – Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch/Sybille Fabian – Dramaturgie: Sven Kleine - Fotos: Joachim Dette Besetzung: Gregor Henze (Josef K.) – Sophie Basse (Frau Grubach, Onkel Karl) – Juliane Pempelfort (Frl. Bürstner, Das bucklige Mädchen, Leni) – Anne-Catherine Studer (Wächter Franz, Frau des Gerichtsdieners, Das Mädchen) – Thomas Braus (Wächter Willem, Gerichtsdiener, Der Geistliche) – Andreas Möckel (Aufseher, Direktor-Stellvertreter, Untersuchungsrichter) – Daniel Breitfelder (Kaminer, Student Bertold, Maler Titoreli) – Lutz Wessel (Neffe Lanz, Hauptmann, Auskunftgeber, Prügler) – Andreas Ramstein (Rabensteiner, Advokat Huld, Grauhaariger Angeklagter) - Statisterie
Eine ominöse Macht faßt zu
Der Bankbeamte Josef K. (Gregor Henze), 30 Jahre alt, ledig, Untermieter bei Frau Grubach (Sophie Basse), wird aus dem Schlaf heraus ohne Anschuldigung, ohne Legitimation, doch auch ohne
Gültige Bühnenbearbeitung von Kafkas Roman
Franz Kafkas genialischer, die Schlünde aller Abgründe der Angst vor willkürlicher staatlicher Autorität aufreißender Roman hat schon vor, besonders aber seit der prominent besetzten Verfilmung durch Orson Welles aus dem Jahr 1962 diverse Film-, Opern- und Bühnenbearbeitungen erlebt, schreit jedoch immer noch nach einer über die Zeit gültigen Fassung für die Bühne, denn die Eindringlichkeit des beängstigenden Sujets ist geradezu wie für das Theater gemacht. Oder verlangt jede neue Zeit nach einer neuen Interpretation? Herbert Neubecker hat mit seiner Bearbeitung einen Weg in das Unheimliche der von Ängsten, Pressionen und heimlichen Mächten beherrschten Welt des Josef K. gefunden, der in Auslegung, Personifizierung und direktem Bezug auf die Romanvorlage gültig und zeitlos erscheint, zugleich jeden Zuschauer mit dem eigenen Zwiespalt zwischen Aufbegehren und Unterwerfung, Lust und Schuld, Glauben und Atheismus konfrontiert.
Eine (fast) schwarz-weiße Welt
Gestern hatte Sybille Fabians Inszenierung für die Wuppertaler Bühnen in Zusammenarbeit mit dem Teo Otto Theater in Remscheid dort ihre wenn auch nicht ausverkaufte, jedoch sehr gut besuchte und mit allem Recht gefeierte Premiere. Man kann von einem grandiosen Gesamterfolg sprechen, denn sowohl Neubeckers Fassung als auch die von ihm gestaltete schwarz-weiße schräge Bühne, Fabians überwiegend schwarz-weiße Kostüme, die dramatischen Klang-Einspielungen, die Choreographie
Expressionismus und Silly Walking
Zug um Zug läßt sich K. bei abnehmendem Aufbegehren in den Sog des mysteriösen Verfahrens ziehen, das immer deutlicher sein Leben bedroht. Der Alptraum der Wehrlosigkeit lähmt ihn, lähmt selbst den Zuschauer, der immer wieder von der Bühne aus als Teilnehmer an dem grausigen Tribunal, dann wieder als Mitangeklagter identifiziert wird. Unbehaglich. Neubecker und Fabian haben den literarischen Expressionismus und bekannte expressionistische Filmbilder aus z.B. „Metropolis“ und „Das Cabinet des Dr. Caligari“ hervorragend umgesetzt, dabei aber auch nicht mit listigen Anleihen bei Monty Python gespart. Maschinengeräusche und Choreographien erinnern an Fritz Lang, Zeitlupen des Schreitens an „The Ministry of Silly Walking“. Das Tribunal unter dem brüllenden Untersuchungsrichter (Andreas Möckel) drückt auch den Zuschauer tiefer in den Sitz. Man ahnt: hier gibt es kaum ein Entkommen. Ein Geniestreich.
Erbarmungslos
Josef K. erlebt entsetzt die Erbarmungslosigkeit des geheimnisvollen Systems an der gnadelosen Exekution seiner Wächter, an der Gewalt gegen die Frau des Gerichtsdieners (Anne-Catherine Studer). Sein Fragen nach dem Ende der Qual wird ihm vom Auskunftgeber (Lutz Wessel) zynisch beantwortet: „Nur was nicht aufhört weh zu tun, bleibt im Gedächtnis“. Nicht einmal der Geistliche
„Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht“. Schmerzhafte Lehre - aber allzu wahr. Kafkas deprimierende Einsicht ist bis auf den Tag gültig. Eine hervorragende, unbedingt sehenswerte Inszenierung. Am 16. April feiert das Stück in Wuppertal seine zweite Premiere. Nicht versäumen!
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de
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